Seit wenigen Tagen haben wir das Thema Wut bei Anoym-Chat in der Auswahl mit aufgenommen. Die Wut kann auch als Ursache für Streit gelten. Dennoch betrachten wir diese Themen getrennt voneinander, da nicht jede Ansammlung von Wut zwangsweise zu Streit führen muss.

Außerdem sehe ich eine gewisse Notwendigkeit, dass sich heutzutage mehr Menschen mit dem Thema Wut intensiver auseinandersetzen. Denn meiner Ansicht nach sollte es nicht nur darauf ankommen, dass man sich erst dann Hilfe sucht, wenn man selbst unter aggressiven Stimmungsschwankungen leidet. Denn der Ton im heutigem sozialen Miteinander wird zunehmend rauer, weshalb sich wahrscheinlich viele fragen, wie mit der ganzen Aggressionen umzugehen, damit solche nicht auf einen selbst abfärben. Einfache Antworten gibt es natürlich auch da nicht. Denn wer würde sich schon über Etwas aufregen, was leicht nachvollziehbar und für alle akzeptabel ist?! Es ist einfach zu viel los in dieser immer chaotisch wirkenden Welt und alle haben eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

Hinzu kommt dann dieser negative Beigeschmack, der uns immer wieder in Rage versetzt. So als hätten wir uns in einem negativen Wirbel verfangen, dem kaum Jemand zu entkommen weiß.

Soziale Medien als Brandbeschleuniger für Wut

Bei meinem letzten Kurzurlaub nahm ich mir deshalb vor, mal auf den Konsum von Nachrichten zu verzichten. Ich hielt durch und zumindest für eine kurze Zeit erschien mir die Welt weitgehend friedlicher. Wie bei einem guten Vorsatz ins neue Jahr konnte ich meiner Sucht nach Informationen etwas Einhalt gebieten. Doch ein paar Tage später ertappe ich mich dann selbst beim Stöbern in den sozialen Medien. Damit endete mein (Kopf-)Urlaub schlagartig, noch bevor ich wieder zu Hause angekommen bin.

Wer jemand Anderem schon mal dabei zugeschaut hat, was für Inhalte sich dieser gerne in den sozialen Medien ansieht, wird vielleicht schnell feststellen, dass die eigenen und fremden Interessen sich stark unterscheiden können. Betrachten wir uns zum Beispiel die Video-Plattformen, die sich an die Interessen der jeweiligen Person anpassen können, um so den Konsumenten lange bei Laune zu halten. Einige Videos sind zugegeben auch für mich lustig und beim Punkt Humor ticken wir offenbar ähnlich.
Doch dann tauchen immer mal wieder aggressive oder verstörende Inhalte auf, die bei mir innerlich etwas Unbehagen auslösen. Entweder finde ich es dann abstoßend oder es macht mich (im Unterbewusstsein) wütend. Ich selbst neige dann eher dazu Inhalte, die mich aufregen direkt zu ignorieren oder ich setze mich intensiv mit ihren Aussagen auseinander, bis ich sie objektiv und mit genug Abstand betrachten kann, damit sie mich nicht in irgendeiner Weise verletzen können. Zugegeben gelingt es mir zwar oft Distanz aufzubauen, doch einige Ereignisse polarisieren so stark, sodass es auch für mich kein Entkommen gibt.

Wenn ich mit anderen Menschen darüber rede, was für einen Eindruck die ganzen Nachrichten auf sie haben, dann erkenne ich meistens keine wirkliche Strategie damit umzugehen. Für mich wirkt es dann so, als wäre vor allem das Internet wie ein großer weiter Weltraum, zu dem sich viele Leute ohne Schutzanzug hineinbewegen ohne dabei an mögliche Folgen zu denken.
Diese Analogie ist natürlich etwas zugespitzt ausgedrückt. Das Internet mit einem lebensfeindlichen Raum ohne Sauerstoff zu vergleichen, ist klar übertrieben. Dennoch rauben mir immer wieder verschiedene Kommentare oder Beiträge buchstäblich den Atem und in dieser Menge an Bullshit, den man so sieht, kann man durchaus von einer radioaktiven Seuche sprechen. Wer sich so etwas dann zu sehr zu Herzen nimmt, ist klar im Nachteil.

Wut als Grundrezept für Verschwörungen

Wenn man sich das System der (erfolgreichen) Verschwörungstheoretiker etwas genauer anschaut, so erkennt man viele Parallelen aus der Werbebranche: Zunächst möchte man eine Ware verkaufen, die eigentlich Niemand wirklich braucht. Nehmen wir dazu mal das Beispiel einer Ideologie. Für sich allein genommen wäre diese Ideologie nur so viel wert, wie ein Fanatiker, der gerne mal über den Weltuntergang philosophiert. Doch wenn man in die Erzählung noch eine bestimmte Gruppe von Menschen als potenziellen Feind hinzufügt, aktiviert das (mit etwas Glück für den Ideologen) unsere Abwehrhaltung und wir fangen an zuzuhören. Diese vermeintlich zerstörerische Gruppe in der Erzählung ist unser Bösewicht und die Ideologie wird uns als eine Waffe verkauft, mit der wir unsere Feinde besiegen können.

Wie bei jedem Werbeprodukt wird so eine Geschichte propagiert, mit der sich möglichst viele Menschen identifizieren sollen. Und je öfter diese Geschichte erzählt wird, desto schwerer fällt es uns sie zu ignorieren. Schließlich kommt irgendwann kaum noch Jemand an ihr vorbei. Immer mehr Menschen finden hier Anschluss und die Ideologie gewinnt an Macht.

Ein offensichtlicher Unterschied hier ist nur der Bezug gegenüber dem Konsumgut: Ein Produkt wie ein Auto verspricht uns zunächst viel Freiheit und löst damit ein Glücksgefühl aus. Doch mit der Zeit verliert auch das seinen Reiz, bis wir irgendwann nicht einmal merken, dass wir es überhaupt haben. Damit also diese Ideologie lange überleben kann, muss dafür gesorgt sein, dass die Grundstimmung dafür aufrechterhalten bleibt. Die Ideologie nach unserem Beispiel wird jedoch von einem Feindbild genährt, weshalb diese immer auf Wut und Hass angewiesen bleibt. Fällt diese Haltung irgendwann weg, kann das die Existenz der Ideologie gefährden. Deshalb ist Wut und Hass eine notwendige Bedingung, damit solche Verschwörungstheoretiker weiter im Fokus unserer Aufmerksamkeit bleiben.

Alles wird gut ...

Es liegt daher an uns, ob wir uns von der Wut (insbesondere in den sozialen Medien) leiten lassen oder uns lieber auf angenehmere Themen konzentrieren. Leicht ist diese Aufgabe nicht, da wir nicht nur uns selbst immer wieder von der Seite betrachten, sondern uns auch bei unbequemen Mitmenschen auf Kompromisse einlassen müssen. Toleranz ist hier wohl ein guter Ansatz, an den wir uns orientieren können. Dabei ist viel Arbeit und Geduld gefragt. Statt dass wir unsere ganze Energie damit verschwenden, um unsere Feindbilder ausfindig zu machen, können wir auch genauso gut dafür kämpfen, dass unser Umfeld sich häufiger mal die Hand reicht.